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Aus für die Cebit

Der Cebit-Rückblick – Es war einmal auf der IT-Messe...

Cebit 1990: Mobiltelefon und tragbarer Computer. Wichtige Eckdaten sind zu dieser Zeit keine Kilobyte, sondern Kilogramm.

Cebit 1990: Mobiltelefon und tragbarer Computer. Wichtige Eckdaten sind zu dieser Zeit keine Kilobyte, sondern Kilogramm.

Hannover. Ausgebucht? Ja, bei Cebit immer ausgebucht. Nicht ein Hotel. Alle. Nicht in Hannover. In der ganzen Umgebung. Nicht am Eröffnungstag, sondern Monate vorher. Cebit im Jahr 2001, das ist Ausnahmezustand. Die Besucherzahlen der Messe nähern sich langsam der Million. Mehr als 800 000 sind es schon, gut 8000 Aussteller bevölkern das Messegelände bis in den letzten Winkel, schließlich öffnet die Cebit seit Jahren die Tür zu dieser digitalen Zukunft mit ihren ständigen kleinen und großen Revolutionen. Ein Must-hin, wie man nicht ganz stilsicher in der Nerd-Steinzeit sagt.

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Hannover und hip? Das sorgt, so viel Vorurteilstreue muss sein, im Jahr 2001 trotz oder wegen der Expo republikweit immer noch für Verwunderung. Immerhin, so die gängige Ansicht, lenkt einen in Hannover nichts ab. Auf dem Messegelände brummt es, in der Stadt auch. Das Wort Warteliste ist ein geläufiger Begriff bei ausstellungswilligen Unternehmern und unternehmungswilligen Ausstellern. Es ist beängstigend, nicht nur, wenn man versucht, ein Zimmer näher als Bad Eilsen zu bekommen oder einen Platz in einem hannoverschen Restaurant, womöglich ohne von der berüchtigten „Messekarte“ bestellen zu müssen. Das mit dem Nabel der Welt hat ein Jahr zuvor so mäßig geklappt, die wahre Weltausstellung hat Hannover aber schon vorher gehabt: Wenn Cebit ist, gucken alle. Oder kommen.

Messe mit komischem Namen

15 Jahre zuvor ist die Stimmung noch deutlich verhaltener. Was ist das, diese Cebit? Eine Messe mit einem komischen Namen, der aus dem noch komischeren Verwaltungsbegriff „Centrum der Büro- und Informationstechnik“ akronymisiert wird. Ein Baby der Hannover-Messe, ausgelagert in der weisen Annahme, dass die Sache mit dem Computer wohl doch eine größere Sache werden könnte. Sicherheitshalber spielt die Schreibmaschine bei der Premiere 1986 immer noch eine wichtige Rolle, Triumph und Olympia sind große Aussteller, schließlich stehen Computer gerade mal in 3 Prozent der deutschen Büros, wo das Kopiergerät den technischen Stand der Dinge symbolisiert.

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Doch schon 1986 ist Aufbruchstimmung zu spüren, nicht nur an den Schreibtischen. Es tut sich eine neue Welt auf. Textverarbeitung, Telekommunikation, Software – Begriffe wecken Neugier, der PC 7000 von Sharp wird als tragbarer Computer vorgestellt, weil es den Begriff Laptop hierzulande noch nicht gibt und das nähmaschinengroße Monster mit seinen 8,5 Kilogramm kein wirkliches Schoßgerät ist. Ein weiterer Star der Messe ist ein Plasmabildschirm „für den Managerschreibtisch“, mit Platz für 24 Zeilen mit 60 Zeichen.

Man trägt Föhnfrisur und Schnäuzer, die Messemacher sind gut gelaunt, sie haben das Cebit-Mutterschiff gerade in ein Rekordjahr geführt und begrüßen bei der Premiere der nun eigenständigen Zukunftshoffnung 2100 Aussteller, ein Drittel davon aus dem Ausland. Helmut Kohl und Boris Becker besuchen die Messe, der eine entdeckt als Bundeskanzler per 3-D-Brille eine neue Dimension, der andere ist als Wimbledon-Champion Everybody’s Darling und Teil einer Altersgruppe, die ironischerweise erst später Kernzielpublikum wird. Becker stellt später die richtungsweise AOL-Frage „Bin ich schon drin?“ 1986 soll er der neuen Messe einfach Glamour verleihen. Die Gala moderiert Freddy Quinn, am Ende kommen gut 300 000 Besucher. Man ist zufrieden.

In den Zoo oder zur Cebit?

Es folgt die „Schneebit“ im Jahr 1987, bei der eine Leasing-Firma auf dem Dach der einst eigens für die Cebit gebauten Stammhalle 1 Glühwein ausschenkt und ein Spaziergang auf dem Gelände zur Wintersportart wird. Das Zuschauerergebnis bricht allen Widrigkeiten zum Trotz nicht ein, sondern verbessert sich deutlich. Spätestens jetzt ist zu ahnen, dass diese neue Frühjahrsveranstaltung ein Hit ist und schon bald mit einem Luxusproblem zu kämpfen hat, das bei der Hannover-Messe mitentscheidend für die Abspaltung der Cebit war: Überfüllung.

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In den Folgejahren wird ein Cebit-Rundgang mehr und mehr zur Familienangelegenheit. Gehen wir in den Zoo – oder zur Cebit? Schnäppchenjäger, für die sich in Ausstellerkreisen der Name Beutelratten etabliert, klappern die Stände nach Werbegeschenken ab. Zehn Jahre nach der Premiere kommt fast ein Drittel der Besucher nicht wegen „Business“, wie das alles mal gedacht war, sondern wegen Neugier und Spaß haben. Veranstalter und Businesspublikum bringt das ins Grübeln, aber es zeigt auch, dass die Themen der Messe längst den ursprünglichen Zielen Beruf, Business und dem B in Cebit, dem Büro, entwachsen sind.

Abermals entscheidet sich die Messe AG für eine Teilung und versucht, Heimanwender und Daddelpublikum in die Cebit Home zu kanalisieren, damit die Fachmesse wieder Fachmesse sein kann. 1998 kommen weniger Menschen als 1996, das Jahr 2000 erlebt die Cebit Home nicht mehr.

Die Business-Cebit dagegen boomt weiter, das Internet weckt Goldgräberstimmung, die New Economy pumpt sich auf und verspricht allgemeine Grenzenlosigkeit, digitale Technik überschlägt sich, ob bei Übertragungsstandards oder im Gadgetbereich, und feiert mit Handy, MP3-Player oder Digitalkameras auch bei Privatinteressenten einen Siegeszug nach dem anderen. Selbst die Tuningszene hat Platz auf der Cebit, die sogenannten Casemodder machen aus PCs Rennwagen ohne Räder. Bis die IT-Blase platzt.

Die Cebit 2002 steht zudem unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September. US-Firmen bleiben weg, viele Besucher auch, die Zahlen fallen Richtung 500 000. Wer rettet die Cebit? Arnold Schwarzenegger kommt 2009, allerdings nicht als Terminator, sondern als Gouverneur des „Partnerlandes“ Kalifornien. Er hält den Bedeutungsverlust der Messe nicht auf, Kanzlerin Angela Merkel als regelmäßiger Eröffnungsgast auch nicht, genauso wenig wie die Veränderung von Eintrittspreisen und Öffnungstagen oder das revolutionäre Smartphone.

2011 hat die Messe erstmals weniger Besucher als 1986 und wird auch in der Wahrnehmung zunehmend egaler. An Maßnahme A und R auf dem Messeschnellweg erkennt man jetzt die Agritechnica, nicht mehr die Cebit. Und ein Zimmer? Ach, wird schon.

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Ein Sommermärchen wird die Messe 2018 auch nicht. Vielleicht hat die Cebit sich selbst abgeschafft, vielleicht ist sie einst für all das abgefeiert worden, was sie selbst überflüssig gemacht hat. Aber sie hat sich gefeiert. Mit Recht. Und alle waren da. Arnie, Angie, die Telekom-Radfahrer. Und Freddy Quinn. Auf der Weltausstellung Cebit. In Hannover. Und irgendwann war sogar Boris drin. Oder was?

Von Uwe Janssen

HAZ

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