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Symbolbild: Corona-Impfung

"Ein Skandal": Rufe nach Ende der Teil-Impfpflicht mehren sich

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    "Ein Skandal": Rufe nach Ende der Teil-Impfpflicht mehren sich

    "Ein Skandal": Rufe nach Ende der Teil-Impfpflicht mehren sich

    Vorerst bis Jahresende gilt in Deutschland die Corona-Teil-Impfpflicht. Ab 1. Oktober muss das Gesundheitspersonal sogar geboostert sein. Auch vor diesem Hintergrund mehren sich Forderungen, die Regelung auszusetzen. Minister Lauterbach winkt ab.

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    Petr JerabekPetr Jerabek

    Die Forderungen nach einer Aussetzung oder Aufhebung der Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal werden lauter. Der Vorsitzende des Bundesverbands der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB), Alexander Schraml, bezeichnete es als einen "Skandal", dass es eine verpflichtende Immunisierung nur für medizinische Berufe gebe. "Entweder man schafft die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab oder man ordnet eine allgemeine Impfpflicht an", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

    Eine Überprüfung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fordern auch Vertreter des Mittelstandes. "Das mit der Impfpflicht verfolgte Ziel, Infektionen in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern so gut wie möglich einzudämmen, konnte bis heute leider nicht erreicht werden", sagte der Sprecher des Beirats Gesundheit des Bundesverbandes "Der Mittelstand", Alexander Ehlers.

    Auch wenn das Pflegepersonal eine hohe Impfquote aufweise, stiegen die Infektionszahlen ebenso an wie andernorts. Die Impfpflicht führe dazu, dass ein Teil des Pflegepersonals in angrenzende Nachbarländer oder andere Berufe abwandere - "mit der Folge, dass sich der Personalstand in unseren Pflegeinrichtungen weiter verschärft", beklagte der Professor für Medizinrecht.

    Krankenhausgesellschaft: Lage hat sich "massiv geändert"

    Mit befeuert hatte die Debatte am Mittwoch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Nach jetzigen Erkenntnissen sei es "weder sinnvoll noch vermittelbar", die einrichtungsbezogene Impfpflicht weiterzuführen, sagte Vizechefin Henriette Neumeyer.

    Der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft, Gerald Gaß, verteidigte im WDR den Vorstoß und verwies auf die Veränderung des Coronavirus: Bei der Delta-Variante habe die Impfpflicht gut gewirkt, weil Geimpfte das Virus weniger häufig übertragen hätten. "Das hat sich jetzt massiv geändert", sagte Gaß. Bei der Omikron-Variante könnten auch viele Geimpfte das Virus übertragen. Man müsse daher abwägen zwischen schwerwiegenden Rechtseingriffen gegenüber Beschäftigten und dem Nutzen. Dieser sei mittlerweile nicht mehr gegeben. Es gehe ihm nicht um die Abschaffung, sondern um die Aussetzung der Teil-Impfpflicht, betonte er.

    Ab 1. Oktober Booster-Impfung nötig: "Verschärfung"

    Die Teil-Impfpflicht war im Dezember 2021 von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Sie gilt seit Mitte März für alle Beschäftigten in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Pflegeheimen und Kliniken und ist aktuell bis Ende 2022 befristet. Eine allgemeine Impfpflicht scheiterte dagegen im Frühjahr im Bundestag.

    Aktuell gilt in Deutschland jeder als vollständig geimpft, der zwei Impfdosen erhalten hat - oder zusätzlich zu einer Impfung eine Corona-Infektion nachweisen kann. Das bleibt aber nur bis 30. September so: Vom 1. Oktober an ist zusätzlich eine Auffrischimpfung notwendig (oder zwei Impfungen plus durchgemachte Infektion). Der BKSB-Vorsitzende Schraml betrachtet dies als Verschärfung der Teil-Impfpflicht. "Damit besteht die Gefahr, dass uns weitere Beschäftigte verloren gehen beziehungsweise Auszubildende im Herbst nicht übernommen werden können."

    Patientenschützer: Impfpflicht kann Erwartungen nicht erfüllen

    Kritisch äußerte sich auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Schon vor Vollzug am 16. März war klar, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht die Erwartungen der Befürworter nicht erfüllen kann", sagte er. Denn auch ein Geimpfter gebe das Virus weiter, für alte und geschwächte Menschen bleibe das Risiko der Ansteckung. Konsequente Hygienemaßnahmen und tägliches Testen seien der Weg in der Alten- und Krankenpflege, mit Corona zu leben.

    Forscher: Teil-Impfpflicht weiter sinnvoll

    Der Leiter der Abteilung Virale Immunologie des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Luka Cicin-Sain, sagte dagegen dem Evangelischen Pressedienst (epd), aus dem derzeitigen Stand der Forschung lasse sich ableiten, dass eine Impfung gegen Corona für medizinisches Personal weiter sinnvoll sei. Wahrscheinlich seien geimpfte Infizierte geringfügig weniger infektiös als ungeimpfte. Rund die Hälfte der Geimpften infiziere sich gar nicht. "Dann werden sie auch das Virus natürlich nicht weiter übertragen."

    Das Paul-Ehrlich-Institut verwies laut epd auf Studien, wonach Geimpfte, die sich mit der Omikron-Variante des Coronavirus infizieren, den Erreger weniger häufig weitergäben als Ungeimpfte. Allerdings sei die Datenlage dazu noch nicht ausreichend.

    Die Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, Sabine Wicker, argumentierte, die Impfung diene auch dem Arbeitsschutz, da sie die Gefahr eines schweren Covid-Verlaufs verringere. Das medizinische Personal trage Verantwortung nicht nur für den Schutz vulnerabler Gruppen, sondern auch für die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung. Daher halte sie die Teil-Impfplicht weiter für gerechtfertigt.

    Lauterbach hält an Teil-Impfpflicht fest

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt eine vorzeitige Aufhebung der Teil-Impfpflicht weiterhin ab. Sie schütze alte und geschwächte Menschen - an dieser Meinung des Ministers habe sich nichts geändert, sagte eine Ministeriumssprecherin. Ob die Impfpflicht über das Jahresende hinaus verlängert werde oder nicht, sei noch nicht geklärt.

    Holetschek: Warnung vor Personalmangel

    Dagegen stellte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Frage. "Wir wissen heute: Die Impfung schließt Ansteckungen nicht aus. Daher bin ich schon der Meinung, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der jetzigen Situation nicht mehr das Nonplusultra ist", sagte er. Der Bundesgesetzgeber solle sie dringend auf den Prüfstand stellen. "Eine Verlängerung halte ich aus heutiger Sicht nicht für sinnvoll", betonte Laumann.

    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte die Bundesregierung schon Anfang Juli aufgefordert, die Teil-Impfpflicht zum 30. September aufzuheben: Durch die Änderung der Definition der vollständigen Impfung stünden Einrichtungen und Gesundheitsämter erneut vor Herausforderungen: Der Impfstatus der Beschäftigten müsse erneut überprüft werden.

    "Ein vorzeitiges Ende der einrichtungsbezogenen Impfpflicht würde nicht nur zusätzliche Bürokratie, sondern auch Risiken für die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner sowie Patientinnen und Patienten vermeiden", sagte der CSU-Politiker. Die Versorgungssicherheit der Bewohner und Patienten dürfe nicht gefährdet werden. "Die Einrichtungen kämpfen schon jetzt mit Personalmangel."

    Impfpflicht "nur sehr partiell durchgesetzt"

    In vielen Bundesländern wurde die Impfpflicht bisher allerdings kaum oder gar nicht durchgesetzt. In Bayern blieben laut Gesundheitsministerium bis 1. Juli mehr als 50.000 Beschäftigte einen gültigen Impfnachweis schuldig. Bußgeldbescheide im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht seien bis zum Stichtag aber keine erlassen worden.

    Der Chef der Krankenhausgesellschaft Gaß, verwies darauf, dass die Impfpflicht "nur sehr partiell durchgesetzt worden" sei. Solche Ungerechtigkeiten innerhalb Deutschlands seien nur schwer zu ertragen. Viele Arbeitgeber hätten auch signalisiert, dass sie auf nicht geimpfte Mitarbeiter nicht verzichten können.

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