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Corona Warn App mit Aktualisierungsanzeige

Ruf nach Verbesserungen

COSMO Tech - Wann kommt die Corona Warn App 2.0 XL?

Stand: 10.11.2020, 17:01 Uhr

Seit sechs Monaten gibt es die Corona Warn App. Die Wissenschaft hat in der Zeit eine Menge dazu gelernt. Die Warn App aber sieht fast genauso aus wie am ersten Tag. Also aller höchste Zeit, dass sie sich weiterentwickelt, finden Jörg Schieb und Dennis Horn. Die beiden sprechen mit dem Philosophen Prof. Julian Rümelin und der netzpolitischen Sprecherin der Linken Anke Domscheit-Berg darüber. Vor allem über die vermehrt geforderte Cluster-Nachverfolgung.

Von Dennis Horn und Jörg Schieb

COSMO Tech - Wann kommt die Corona Warn App 2.0 XL?

COSMO TECH 10.11.2020 01:11:45 Std. Verfügbar bis 09.11.2025 COSMO


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[02:20] Wo steht die Warn App aktuell?

Sind die Meldungen deutlich genug? Nein! Sie erscheinen nicht, wenn man die App nicht aufruft. Viele Meldungen sind eher irritierend. Wann hatte ich einen Kontakt? Wo hatte ich den Kontakt? Verrät die App alles nicht - aus Datenschutzgründen. Würde viele aber interessieren.

Die App hat mittlerweile mehr als 21,9 Mio Downloads. Es wurden 3 Mio. Ergebnisse digital übermittelt. 58% teilen ihre Ergebnisse über die App. Die Wissenschaft lernt ständig dazu. Anfang des Jahres wussten wir noch nicht viel über Corona und Covid-19. Mittlerweile wissen wir mehr. Das hat natürlich auch Einfluss darauf, was wir von einer Corona Warn App erwarten.

[07:30] Die zweite Welle: Erwartungen an die Warn App

Dem Stand der Wissenschaft von März/April entsprechend, trifft die Corona Warn App ihre Entscheidungen ob Risiko-Kontakt oder nicht anhand von zwei Kriterien: Abstand und Zeit. Je länger wir uns in der Nähe einer später als infiziert gemeldeten Person aufgehalten haben, und je näher wir ihr gekommen sind, umso wahrscheinlicher erhalten wir eine rote Warnung. Ein drittes Kriterium ist noch, an welchem Tag des Krankheitsverlaufs wir die Person getroffen haben, das spielt nämlich auch eine Rolle beim Ansteckungsrisiko.

Ein Problem dabei: Damit der Akku nicht zu schnell leer gesaugt ist, lauscht die App nur in recht großzügigen Intervallen nach Codes von anderen Handys. Außerdem ist die Abstandsmessung via Bluetooth alles andere als genau. Schauen sich die Personen an? Ist eine Scheibe oder Sitz dazwischen? Hat alles Einfluss auf die Genauigkeit.

Genau das könnte eine Erklärung für die vergleichsweise häufigen Hinweise auf "Begegnungen niedrigen Risikos" sein, die viele Nutzer ratlos zurücklassen.

Doch selbst wenn die Abstandsmessung perfekt funktionieren würde: Die Situation kann die App nicht erfassen. Ein mehrstündiges Meeting mehrerer Personen mit ausreichend Abstand von mindestens 3 Metern in einem allerdings schlecht gelüfteten Raum würde - wenn überhaupt - wohl als "geringes Risiko" eingestuft.

[15:20] Wenn Menschen sich in Gruppen treffen: Clustererfassung

Verbessert werden muss vor allem die Erfassung von Risiko-Situationen (Restaurant, Meeting, Verkehrsmittel) und vor allem die Geschwindigkeit und Verlässlichkeit, mit der Meldungen die Nutzerinnen erreichen. Die Grünen fordern eine sogenannte "Clusternachverfolgung" in der Corona Warn App. Angesichts der Überlastung der Gesundheitsämter schlagen die Grünen vor, die Kontaktnachverfolgung durch die Corona-Warn App deutlich zu verbessern. Ziel sei es, die Pandemiebekämpfung künftig auf Cluster zu konzentrieren, in denen besonders viele Menschen zusammenkommen, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz.

Bei der Corona-Bekämpfung spielt die Erkennung von Clustern eine immer wichtigere Rolle. Diese können aber allein auf der Basis der Abstandsmessung zwischen einzelnen Geräten bisher von der App nicht erfasst werden. Deshalb fordert von Notz eine Erweiterung der Corona-Warn App um eine manuelle Funktion zum Erfassen von Zusammenkünften mehrerer Personen, zum Beispiel zu Hause, im Restaurant oder im beruflichen Meeting. So eine Art "Check-In": Trifft man mehrere Personen gleichzeitig, auch und vor allem im privaten Rahmen, "meldet" man das der Corona Warn App. Aber datensparsam, wie immer. Die App erfährt lediglich, dass alle registrierten Personen zu einem "Cluster" gehören, am selben Ort waren.

Die Idee: Ein CrowdNotifier. Wie beim derzeitigen Contact Tracing gibt es keine zentrale Datensammlung, wer wen wann wo getroffen hat. Beim CorwdNotifier wird die Information, dass eine Person Teil einer Zusammenkunft war, weiterhin ausschließlich auf dem eigenen Gerät gespeichert. Die Alarmierung erfolgt analog zum bisherigen Ansatz der CWA durch Veröffentlichung eines Codes, der für Dritte ohne Information ist.

[19:10] Interview mit Prof. Rümelin

Prof. Julian Nida-Rümelin war einst im Kabinett Schröder Kulturstaatsminister. Er ist Professor für Philosophie. Seine Spezialgebiete sind Entscheidungs- und Rationalitätstheorie, theoretische und angewandte Ethik, politische Philosophie und Erkenntnistheorie. Vor einigen Tagen saß er bei Anne Will und hat lautstark gefordert: Lasst uns moderne Digitaltechnik stärker einsetzen. Wir brauchen mehr Daten.

[36:10] Interview mit Anke Domscheit-Berg

Anke Domscheit-Berg ist netzpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag und mit der Corona Warn App bestens vertraut.

[48:10] Studie der Wirtschaftswoche

Die Wirtschaftswoche hat eine Studie über die CWA angefertigt. Es wurden 5.000 Leute befragt. Einige Kernpunkte - welche Probleme sind Ihnen bereits begegnet:

  • Unzureichende Informationen: 17,6%
  • App ist unübersichtlich: 7,2%
  • Verstehe Warnungen nicht: 6%

Jeder dritte zu Problemen mit der App befragte Nutzer wünscht sich genauere Hinweise, etwa zu Zeitpunkt, Ort oder Dauer von gemeldeten Risikokontakten. Gut jeder Sechste beurteilt die verfügbaren Informationen sogar als "unzureichend", zeigt die Civey-Umfrage So wäre die Mehrheit der App-Nutzer laut der Umfrage bereit, zu Lasten des Datenschutzes deutlich mehr persönliche Informationen von der App aufzeichnen zu lassen, um dafür umgekehrt konkretere Angaben zu den Umständen eventueller Risikokontakte zu bekommen. Gut 85 Prozent der Befragten, die die App bereits einsetzen, würden den Zeitpunkt, knapp 80 Prozent zudem den Ort und gut 77 Prozent die Distanz von Risikokontakten erfassen lassen, um diese Informationen im Fall von Warnungen später abrufen zu können.

Interessant: Würde die App konkretere Informationen zu Warnungen anzeigen, könnte das laut Erhebung sogar jeden Fünften, der die App noch nicht nutzt, dazu bewegen, sie doch noch aufs Smartphone zu installieren. Auch hier wären Informationen zu Zeitpunkt und Ort eventueller Risikokontakte für die Befragten besonders interessant.

Zwei Drittel der Nichtnutzer allerdings, auch das ergab die Umfrage, würden sich auch von solchen Zusatzangaben nicht dazu bringen lassen, die App zu installieren. Gut ein Viertel der Nichtnutzer lehnt sie weiterhin wegen Datenschutzbedenken ab, knapp die Hälfte der Verweigerer bezweifelt grundsätzlich, "dass die Warn App etwas nützt".

[01:04:10] Gamification

Dass der Nutzen der App nicht deutlich genug werde, sieht auch Tim Bosenick als eine der größten Schwächen. Der Hamburger Soziologe ist Chef und Gründer des auf die Benutzerfreundlichkeit von Produkten spezialisierten Unternehmens Uintent und findet, die App habe "ein Kommunikationsproblem". Sie sei viel zu unauffällig und melde sich nur mit schlechten Nachrichten, so Bosenick. Dabei wäre gerade wichtig, "dass das Programm Anwendern immer wieder den Vorteil des Gebrauchs verdeutlicht".

Dabei ließen sich über den Einsatz der App sogar positive pädagogische Effekte erzielen. Denkbar sei etwa, dass der Nutzer in der App regelmäßig den durchschnittlichen Abstand angezeigt bekomme, den das Handy im Tagesverlauf bei Begegnungen mit anderen Menschen erfasst. So könnte man etwa Bonuspunkte sammeln, wenn man es schafft, über der empfohlenen Entfernung von 1,5 Metern zu bleiben, schlägt Experte Bosenick vor: "Solche Gamification-Elemente wären für manchen Anwender ein Anreiz, die Abstände bewusster einzuhalten und sich zugleich, wie etwa bei Fitness-Apps, kleine Belohnungserlebnisse abzuholen."

[01:06:20] Hilfe für die Gesundheitsämter: Kadoin

KADOIN ist keine neue App, sondern ein visuelles, kartenbasiertes Dokumentationssystem, das von den Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt werden soll", erklärt der Mediziner. Ähnlich einer modernen Navigationssoftware verwendet das System einen kartenbasierten Ansatz. Im Unterschied zu einer zeitlich begrenzten telefonischen Befragung werden die Betroffenen per Mausklick an ihre letzten Aufenthaltsorte geführt und sollen sich so leichter an konkrete Situationen und die dazugehörigen Kontaktpersonen erinnern. Die Befragten können dann selbstständig und vom öffentlichen Gesundheitsdienst zeitlich unabhängig ihre zuvor im Telefoninterview getätigten Angaben zu Kontaktpersonen vervollständigen. Das Forschungsprojekt KADOIN untersucht die Fragestellung, ob ein szenisches Gedächtnisprotokoll die Datenqualität in der Kontaktnachverfolgung verbessern kann.


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E-Mail: cosmotech@wdr.de
Die nächste Ausgabe von COSMO Tech erscheint am 24. November 2020.